Ein Wort zur SVP-Masseneinwanderungs-Initiative

ab

Also diese SVP-Initiative ‚Gegen Masseneinwanderung‘ wirft ja schon ein paar ganz grundsätzliche Fragen auf.

Man kann sich zum Beispiel heute gar nicht mehr vorstellen, wie wenig attraktiv die Schweiz einmal war, so vor 15, 25 Jahren (und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch davor).

Vor meinen Augen jedenfalls reiht sich heutzutage ein schöner Anblick an den anderen, wenn ich so durch’s Land schaue.

Vielleicht ist’s auch Maybelline.

Oder H&M.

Oder McDonald’s.

Oder alles zusammen.

Die Häufung von Schönheit(en) könnte in meinem Fall auch im vom Alter getrübten Auge des Betrachters liegen.

Und dennoch habe ich die starke Vermutung, Einwanderung könnte etwas damit zu tun haben, dass Helvetia so hübsch geworden ist.

Manchmal kommt Schönheit eben doch nicht nur von innen.

Beat Enoteca

Künstler: Funk Bastard & Sterneis present
Titel: Beat Enoteca – Swiss Beatmaker Compilation
Label/Plattform: Brain & Device/iTunes, Bandcamp
Format: LP/MP3
Jahr: 2013

Web: beatenoteca.ch

beatenoteca

Es liegt eine Menge Understatement in der Bezeichnung Beatmaker. Gerade darum bin ich persönlich dem Begriff nicht abgeneigt, dennoch ist unbestritten, dass sich der sogenannte Beatmaker über die Jahre von der Rolle als Zulieferer der Rap-Industrie vollständig emanzipiert hat. Die Techniken mögen, ob Hard- oder Software, ähnlich geblieben sein, aber so ein Beat ist inzwischen doch eine recht spezielle Angelegenheit, die mit zeitgenössischem (oder auch historischem) Rap nicht mehr viel zu tun hat. Beatmaking in diesem modernen Sinn ist eine eigenständige Kunstform, die weit verbreitet ist und aufgrund fehlender Sprachbarrieren auch weltweit verstanden wird.

Die Beat Enoteca bietet einen Blick auf das beatmakerische Schaffen in der Schweiz, wie es sich gehört mit Stil und Prägnanz. Die Sammlung führt insbesondere vor Augen, wie viel eigentlich los ist in einem Beat Baujahr 2013. Mehr als einmal werden Erwartungen, die eine Komposition anfänglich wecken mag, über den Haufen geworfen. Zu viel Betriebsamkeit wäre allerdings auch nicht gut, aber die 14 eingeladenen Taktgeber beweisen allesamt Gespür für die Geasamtkomposition.

Shady verspricht nicht zuviel mit Sweet Awakening. Mit einem Beat, dessen Rhythmusgruppe Luftsprünge macht und dabei eine gehörige Portion fröhlichen Funk aufwirbelt, sorgt er für den nahezu perfekten Auftakt. Sehr nett die kurzzeitige Rückkehr (so macht es jedenfalls den Anschein) zum Ursprungsmaterial, bevor die verarbeitete Version, der eigentliche Beat, wieder reinkommt. Melodiesinfonie wechselt in Mentalpeace zwischen intro- und extrovertiert mit einem esoterisch anmutenden Anfang, der erst mal von leicht schleppenden aber doch lebhaften Drums verlängert wird, bevor verzerrte Rap-Samples dem Track eine offensivere Richtung geben. Dann wiederum folgt eine besinnlichere Phase und zuletzt sogar ein angedeutetes Solo mit funky Synths. Meisterbeatz stellt mit Wrong Groove (via weibliches Vocalsample) die rhetorische Frage, was denn an grooven falsch sein könnte und gibt mit seinem sehr schön modelierten, mitreissenden Track die einzig richtige Antwort – nichts.

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es hier generell um verfeinerte Formen von Rhythmus, Funk, Groove, etc. geht. Die Kombination aus vertrackt arrangiert und üppig angerichtet, aus Emotionen und Zurückhaltung, hebt diese Kompositionen auf eine höhere Stufe, zumindest im Vergleich mit anderen modernen Strömungen elektronischer Musik oder auch Hip-Hop, wie man ihn gemeinhin so kennt. Die positive, bisweilen fast schon euphorische Grundstimmung vieler dieser Tracks ist wohl auch dem Zeitgeist innerhalb der kleinen internationalen Szene geschuldet, aber sie verrät auch Freude an der Musik, an lebendiger Musik, sowie am Sound/Klang an und für sich, etwas das Hip-Hop traditionell auszeichnet.

Zuweilen schrammt man auch nahe am Kitsch vorbei, etwa bei Chief & Dehebs It’s All About Love mit seinem fast schon klebrigen Sound. Da sind dunklere Schattierungen und schärfere Kontraste durchaus willkommen. FlexFab kreuzt in Break-In ein schräg-souliges Vocalsample mit scharfkantiger Perkussion. Audio Dope komponiert mit New Life eine intime, mit Rhodes, Flöte und Trompete bestückte Suite, die mich ein bisschen 90er-mässig an die Japaner Silent Poets erinnert. Bei Funk Bastard könnte Blockhead als Referenz dienen. Er unterlegt Teacher’s Talk (gesamplet aus ‚Ferris Bueller’s Day Off‘) mit einem vage bedrohlichen Unterton und lässt einen Hang zum musikalischen Geschichtenerzählen erkennen.

Nemoy legt Wert auf Abwechslung, in Like An Apple beständig am klanglichen Kaleidoskop drehend, während Khaderbai in Rugbrød mit Absicht auf ein Rock-Finale zusteuert. Reezm legt mit Love Sick Dread einen schweren Groove auf, der aber auch Dub-DNA in sich trägt und damit automatisch der Schwerkraft trotzt. Angereichert wird das ganze mit einem Blues-Lamento und einem Biz Markie-Urschrei (höre ich jedenfalls heraus). Stadt Fuchs Bagatelle von Sterneis beginnt wie ein DJ Battle-Track, als würde Bomb Hip-Hop noch einmal den Return Of The DJ verkünden, doch irgendwann einmal kommt, viel abrupter als in der historischen Wirklichkeit, die Zuwendung zu sanfteren, souligen Klängen, wie als Beweis, dass der alte Fuchs keineswegs in der Vergangenheit hängegeblieben ist.

Weniger überzeugen können die Tracks, die eher kurz und eintönig gehalten sind. TZA ist ein gestandener Produzent, aber Caron klingt eher nach einer Spontanbewerbung bei Chiefs Label Feelin‘ Music – wo übrigens Melodiesinfonie berechtigterweise bereits untergekommen ist. Percys Korg Fury könnte ein Outtake aus dem diesjährigen Betty Ford Boys-Album sein, und das abschliessende Up In The Sky von Shuffle And Boost beginnt zwar vielversprechend, will sich aber nicht so recht entwickeln.

Was mich besonders einnimmt für die Beat Enoteca, ist, dass hier Musiker mit sehr unterschiedlichem Hintergrund die Kunst des Beatmakings zelebrieren. Ob es an der spezifischen Selektion oder an der Szene selbst liegt, dass sich die Beats trotzdem nicht radikaler voneinander unterscheiden, vermag ich nicht zu beurteilen. Einen Vorteil hat es allemal, dass die Beteiligten auf einer Wellenlänge sind – es ist eine Platte entstanden, die man vom Anfang bis zum Schluss geniessen kann.

Jasco – Schwizer Ohni Pass

Künstler: Jasco
Titel: Schwizer Ohni Pass
Label/Vertrieb: Skandal Records
Format: MP3/CD
Jahr: 2013

Web: Facebook

Jasco - Schwizer Ohni Pass

Schweizer Rapper machen sich, grösstenteils unbeachtet von der Öffentlichkeit, immer wieder mal Gedanken zur Schweiz. Mit ‚Schweizer Rapper‘ meine ich selbstverständlich jeden und jede, der/die sich in diesem Land rappend äussert. Mit Staatsangehörigkeit hat das erst mal gar nichts zu tun. Doch weil ‚die Schweiz‘ gerade für Rapper mit Migrationshintergrund ein Thema ist, ist es nur logisch, dass die Nationalität in ihren Überlegungen auch zur Sprache kommt.

Jasco gibt ziemlich genau meine Meinung wieder, wenn er sich als ‚Schweizer ohne Pass‘ bezeichnet – wenn ich auch die Generation der sogenannten Secondos, die hier aufgewachsen sind, eher als, zum Beispiel, Berner oder Genfer sehe. Ein ‚Schweizer‘ ist etwas ziemlich abstraktes und wird nicht unbedingt konkreter, je mehr Einwanderer und Eingebürgerte dazukommen. Egal, ob man den ‚Schweizer‘ auf den Pass reduziert oder jeden mitrechnet, der hier einen beträchtlichen Teil seines Lebens verbracht hat, das Bild vom ‚Schweizer‘ bleibt uneinheitlich – wenn man sich nicht gerade von den offensichtlichsten Klischees an der Nase herumführen lässt.

Natürlich sind es nicht zuletzt solche Klischees, die einen jungen Menschen wie Jasco überhaupt dazu bringen, sein Verhältnis zu diesem Land definieren zu wollen. Aber es ist ja nicht so, dass ein Albumtitel wie Schwizer Ohni Pass bloss eine Reaktion auf oberflächliche Diskussionen im Blick und in der Arena wäre. (Das ist die Partei, die am penetrantesten auf dem Unterschied Ausländer/Schweizer beharrt, schlicht nicht wert.) Diese werden zwar auch angesprochen (Blocher wird ein paarmal erwähnt), aber vor allem lässt dieses Album einfach mal die andere Seite zu Wort kommen, die Jungen, die Ausländer, die jungen Ausländer.

Ein ‚Schweizer ohne Pass‘ zu sein ist ein doch ziemlich klares Bekenntnis, das eigentlich selbst Migrationsskeptiker freuen sollte. Da fühlt sich einer als Schweizer, ob das nun so in seinen Papieren steht oder nicht. Das ist auch keineswegs selten und kriegt man immer wieder zu hören von Menschen, denen die Fremde längst zur Heimat geworden ist. Trotzdem lebt jemand wie Jasco natürlich in einem Spannungsfeld, das es nicht unbedingt erleichtert, eine Identität zu finden. (Hip-Hop und Rap können da oft helfen, aber dies nur nebenbei.) Da gibt’s zum Beispiel den Song Wär Ig Bi auf Schwizer Ohni Pass, der aber weniger schwierige Identitätssuche ist als ein Klammern an simple Werte (zum Beispiel ist er der Meinung, ein Mann ohne Feinde sei ein Mann ohne Charakter). Allerdings gilt es da eben auch wieder den Faktor ‚Rap‘ einzuberechnen, denn Rap spielt einfach generell mit härteren Bandagen und einfacheren Bildern als andere Kunstformen.

So lässt er manchmal bewusst den Asi raushängen, etwa wenn er an der Seite von Eko Fresh in Dr Wahnsinn Isch Perfekt rappt, „I gib däm Blocher no rächt, ha mi schlächt integriert“. Einen Star wie Eko Fresh mit draufzuhaben ist natürlich unbestrittenermassen ein Coup, wobei die zwei nicht ganz so perfekt harmonieren, weil Ek eher den leichteren ironischen Umgang pflegt (und bei ‚Schweiz‘ erstmal an Ricola, Uhren und Steuer-CDs denkt) und Jasco demgegenüber fast zu grob einfährt. Das kann er besser, etwa in Khouya Vom Block, wo er geschickt mit Klischees jongliert:

„I gah dr Mittuwäg, als Arab oder Schwizer
Du Arsch hie würdsch itz meine als e ‚Dealer‘ oder ‚Büezer‘
[…]
I gah mi Wäg, Einzelgang, Assassin
Bi nid abghobe – uf em Teppich wie dr Aladin
Immer no so stur wie dr Ayyubi Saladin
Weles Tel Aviv? Nume Palestine“

Nicht hundertprozentig überzeugen können die Tracks, die eher sloganhaft mit dem Ausländersein umgehen. Das Thema von Vom Schwizer Zum Usländer, einem Duett mit D.O.N, wird nicht ganz klar, und Stief Vaterland beginnt erst ab der Hook Sinn zu machen, und trotzdem weiss man zum Schluss nicht genau, wo denn nun das Stief-Vaterland liegt, hier oder dort. In diesem Fall wäre Klarheit Teil des gelungenen Wortspiels. Heisst aber nicht, dass Jasco nicht ein paar gute Argumente bringen würde:

„Marhaba, bedien di nur a däm Baklava
Und während Hochzyte tanze mir Tallava
Du chunnsch nid klar und dänksch: ‚Usländer use!‘
Doch genau wäg so-m’ne Scheiss lah-n’ig dr Usländer use“

Jascos grösste Stärken liegen jedoch im Mitteilen von Erfahrungen und Beschreiben von Situationen. Der Storyteller geniesst traditionell Ansehen im Rap, und Jasco hat ein echtes Talent fürs Erzählen in Reimform. Mach Dini Eutere Stolz spricht direkt Vater und Mutter an, rekapituliert schwierige Situationen in der Vergangenheit, um sich für die elterliche Sorge und Strenge zu bedanken. Solche Zeilen können nur von Herzen kommen: „Du bisch nid e Vater wo dy Sohn i nes Heim steckt / u i bi nid e Sohn wo sy Vater mal i ds Heim steckt“.

Viel Erfahrung spricht auch aus D’Vergangeheit Hout Uf, Jenga, Gäud Macht Mi Chrank und C’est La Vie – Songs, die sich von nichts ablenken lassen und deren Realitätssinn als ausserordentlich bezeichnet werden muss. Da gehts um Drogenabhängigkeit, Kriminalität, Ausschaffungen und Autoraser aus der Sicht von Angehörigen und Freunden, zur Abwechslung mal eben nicht durch den Filter von Blick und Arena. Da werden Probleme nicht auf gesellschaftlicher oder politischer Ebene diskutiert, sondern individuell und persönlich.

Jasco kann Rap-SONGS schreiben (was man beileibe nicht von jedem Rapper behaupten kann). Da möchte man natürlich auch, dass sie in einem würdigen Rahmen stattfinden. Wie so oft bei regionalen Rap-Produkten hört man Schwizer Ohni Pass die sagen wir mal hobbymässige Herkunft an. Wobei es mehr der klangliche Gesamteindruck ist, diese typischen synthetischen Streicher und Pianos unterlegt mit relativ platten Drums. Morn ist zum Beispiel lange auf gutem Weg, aber wenn dann im Refrain der frische Gitarren-Loop durch völlig unnötige Klänge ergänzt wird, leidet der ganze Track darunter. Musikalisch erwähnenswert sind Wär Ig Bi mit 90er-Atmosphäre und Scratches, das sinistere Z Läbe Wod Nid Kennsch, die Umsetzung des Zwiegesprächs mit der eigenen Geldgier in Gäud Macht Mi Chrank, oder auch die reicher instrumentierten Intro und Outro. Der ausgereifteste Track dürfte Mach Dini Eutere Stolz sein – Sänger Samir Essahbi unterstreicht die Emotionen des Textes und auch der Beat erweist sich als vielschichtig.

Als jemand, der es begrüssen würde, wenn die Leute, die Bligg zu seinem Erfolg verhelfen, auch etwas von Jasco mitbekommen würden, wünschte ich natürlich, er könnte das musikalische Ghetto, in dem sich Schwizer Ohni Pass leider Gottes halt trotzdem abspielt, ab und zu verlassen. Da gab’s zum Teil schon Momente, wo ich mir gedacht habe: Nicht schon wieder so ein Rapper, der Berns Westen mit Berlin-Neukölln verwechselt. Insgesamt belehrt mich das Album eines besseren, aber ich habe auch Übung in der Deutung von Rap-typischen Ansagen, wie sie in Khouya Vom Block gemacht werden. Aber letztlich spricht Rap in den wenigsten Fällen die grosse Masse an und wenn dieser ‚Bruder vom Block‘ Jugendlichen eine Stimme gibt, die anderswo eben nicht zu Wort kommmen, dann ist das schon sehr viel.

JascoGäud Macht Mi Chrank

JascoKhouya Vom Block

Roumee & Iroas – Moratorium 2012

Künstler: Roumee & Iroas
Titel: Moratorium 2012
Plattform: Bandcamp
Format: MP3/CD
Jahr: 2012

Webseite: www.facebook.com/roumeeundiroas

Roumee & Iroas - Moratorium 2012

Angesichts der Behauptung, dass das hier Le Swiss Rap Blog sein soll, könnte vielleicht der Eindruck entstehen, dass der Schreibende zumindest einen vagen Überblick über Schweizer Rap hat. Dem ist nicht so. Alle zwei Monate schaue ich mal bei reprezent.ch vorbei, manchmal schnappe ich was im morgendlichen Altpapier auf oder irgendsoein Rapper (gewisse davon mit unschöner Regelmässigkeit) zeigt sein Gesicht auf meiner Mattscheibe. Radio, es ist zu beklagen, höre ich seit Jahren nicht mehr und auf das grosse aightgenössische Hip-Hop-Portal führt mich höchstens die Suchmaschine. Sobald sich jedoch jemand entschliesst, seine Musik mittels Promostickern zu bewerben, hat er meine vollste Aufmerksamkeit. Vorausgesetzt, natürlich, dieselben kreuzen meine Wege. Wer heute noch die Strasse zur Werbestrecke macht, verdient einfach Respekt. Hip-Hop und so.

Sticker für Romee & IroasMoratorium 2012 ist mir genau einer begegnet, und auch der klebte eher verschämt seitlich an einem Laternenpfahl. Das Sujet hat allerdings sofort meine Neugier geweckt. Bei Bären werde ich nämlich so was von schwach. Ich konnte nicht unbedingt davon ausgehen, dass es sich um Berner Rap handelt, aber vermutet habe ich’s natürlich schon, und ein Besuch auf der Bandcamp-Seite des Duos bestätigte mich prompt. Dem Frontcover fehlt allerdings ein rückseitiges Gegenstück (z.B. um Production-Credits anzubringen!), so dass ich trotzdem nicht ohne Spekulationen auskomme.

Roumee und Iroas rappen beide seit ein paar Jahren. Iroas gibt an, von Roumee angeleitet worden zu sein und hat seine erworbenen Kenntnisse auch schon in einem eigenen Tape umgesetzt, Louf Mit Mir, ebenfalls letztes Jahr erschienen. Moratorium 2012 ist ein 18 Tracks starkes Album, auf dem sich die beiden sowohl das Mic teilen als auch allein den eigenen Gedanken nachhängen. Gemeinsam starten sie mit einer Ansage, betitelt Räp In Bärn. Gerne hätte ich darin etwas Aufbauendes über Rap in Bern erfahren, stattdessen üben sich die beiden in der üblichen Schlechtmacherei. Wenn Iroas ansetzt, „Erwähn-es fasch nie, hasse Rap in Bärn“, dann frage ich mich schon, weshalb er damit dann trotzdem gleich ein Album eröffnen muss. In Sachen Skills hinterlassen die beiden auf jeden Fall mit Räp In Bärn keinen zwingenden Eindruck, so dass die Pauschalkritik als allererstes auf sie selbst zurückfällt.

Danach wendet sich das Duo höheren Dingen zu, was natürlich nochmal ganz andere Fähigkeiten voraussetzt. Loben darf man Roumee für seine flowtechnischen Bemühungen in Momäntufnahm – über einen schlicht-schönen Beat von Life And Death Productions, wo höchstens die – jedes – Wort – betonende – Hook etwas stört. Momäntufnahm ist das erste einer Reihe von philosophierenden Liedern, in denen es um Sinnsuche und Selbsterkenntnis geht.

Gast Migo stellt in Si Sägä... fest, „Die Welt chame mit Wort ufeme Beat nid verändere„, und dementsprechend positionieren sich Roumee und Iroas eher als Beobachter. Mit kritischem Blick aufs moderne Leben sinnieren sie über das Ausschöpfen der eigenen Möglichkeiten, namentlich der geistigen. Insbesondere Roumee gibt den Freidenker. In Monopoly hört sich das so an: „Forme mi Geischt zu-re Einheit / Ds greglete Läbe isch e grosse Feind vo dr Freiheit“. Und weiter:

„Mir wärde scho vo chly uf konditioniert
uf die materielli Macht wo üs regiert
Uf em Schachbrätt positioniert
Jede Schritt modifiziert, vorprogrammiert
Sie sueche sech sälber, entfärne sech drastisch
Jede geiht i Kampf, wählt sini Taktik
Tribend uf ere Wälle us Plastig
I bi dr Fels i dr Brandig, erhälle dis Antlitz“

Monopoly lässt sich von diesen Tracks noch am ehesten zitieren und gipfelt gar in der schlauen Berner Rap-Referenz „Bi ersch 19, ke Erfahrig wie ne Greis / doch i bi für alles scho bereit“.

Anderswo tun sich beide ziemlich schwer, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Die Gedankenflüge stürzen entweder innert kürzester Zeit ab oder heben gar nicht erst ab. Lavastrom wählt als Aufhänger ein Bild aus, das einfach nicht funktionieren kann (sie schwimmen dagegen an – den Lavastrom) und reiht umständliche und nicht selten unverständliche Formulierungen wie „I bi dr Gstalter vo dene Raps / und das füehrt di zue-re nid reduzierbare Komplexität“ oder „Die niedergschribene Ziile ungerschtütze mini Totalität“ aneinander. Sowas war mal cool, als ich’s zum ersten Mal auf Englisch gehört habe, aber Leute wie Intelligent Hoodlum, Kool Keith oder Nas (doch, doch, der hat auch derartiges geboten) brachten das halt auch mit Style und Skills rüber.

In groben Zügen können sich Roumee und Iroas durchaus veständlich machen, aber im Detail – und darauf kommt’s im Rap sehr häufig an – fehlt es an Prägnanz und Substanz. Doppelreime allein garantieren eben noch keine Eloquenz, im Gegenteil, sie schränken die Möglichkeiten des unerfahrenen Rappers ein und wiegen ihn in falscher Stilsicherheit. Wie soll zum Beispiel das Folgende zusammengehen: „I sitze wuetentbrannt uf eme Wulcherand / beuge mi Chopf vor und i luege gschpannt“? Wutentbrannt am Wolkenrand sitzen? Und dazu noch gespannt gucken? Passt einfach nicht. Da fehlt dann auch nicht viel, und ich reagiere ablehnend auf die eigentlichen Aussagen, z.B. wenn Roumee in Apathisch die Selbstzufriedenheit der schweigenden Mehrheit anprangert und behauptet, „D’Masse besteiht us Opfer wo ke Meinig hei“. Schön, dass er noch genügend Lebenszeit vor sich hat, um dieses schiefe Weltbild zurechtzurücken.

Bei solch grundlegender Kritik sollte man unbedingt auch die gelungenen Passagen erwähnen. Textlich finden sich die im konzeptuell anspruchsvollen und gut ausformulierten Wortschatz, dessen Titel von Iroas wörtlich genommen wird, und in Tiefsee, dem besten Track des Albums, ein poetisches aber absolut unpeinliches Liebeslied, wo Bildsprache und Reimschema, Beat und Flow, Melodie und Rhythmus fachmännisch zusammengefügte Bausteine sind, die etwas Grösseres – eben einen gelungenen Rap-Song – entstehen lassen.


Ich habe hier schon verschiedentlich die ‚Ernsthaftigkeit‘ von französischsprachigem Rap aus der Romandie hervorgehoben. Da ist es eigentlich nur angebracht, das auch hier zu tun. Vielleicht ist es einfach Roumee und Iroas‘ Pech, dass sie in meiner Muttersprache rappen (mit zum Teil schmerzlichen Anleihen beim Hochdeutschen) und ich daher ihre ‚Ernsthaftigkeit‘ etwas kritischer beurteile. In der Endabrechnung ist Moratorium 2012 ein durchaus ernstzunehmendes Stück kritischer und introspektiver Rap mit Relevanz für 2012 und darüber hinaus. Die pianolastigen Produktionen sind einfach gehalten, überraschen aber auch mit druckvollen Drums (Agonie), hymnischen Elementen (Uftakt), Streichern (Momäntufnahm) oder sogar einem moderneren Ansatz (Spiegubiud). Weibliche Mundart-Hooks (Gabriela, Lilija) gab es schon weitaus schlechtere, und die beiden Herren am Mic beweisen durchaus Potential als MC’s. Wer auf serious rap shit (im buchstäblichen wie im weiteren Sinn) steht, der wird auf Moratorium 2012 mit Bestimmtheit fündig, wenn auch wohl nicht über die ganze Länge.

Roumee & IroasMomäntufnahm

Roumee & IroasLavastrom

TAFS – Landgang

Künstler: TAFS
Titel: Landgang
Label/Vertrieb: Nation Music
Format: MP3/CD
Jahr: 2013

Webseite: www.tafs.ch

TAFS - LandgangMir kommt’s vor, als hätte es TAFS immer schon gegeben. Stimmt natürlich nicht. In Wahrheit habe ich die Anfänge der Baselbieter nur bruchstückhaft mitbekommen. Ihr Beitrag zur 99er More Compilation, Mir Bringe…, hatte grossen Eindruck gemacht, aber ich erinnere mich noch, wie ich die legendäre Debüt-Single 8i Bahnhof via Napster ausfinding machen musste, weil sie schon nicht mehr erhältlich war. Das muss Anfang des neuen Jahrtausends gewesen sein. Doch schon 2007 feierte die TAFSquad 10-jähriges Bestehen mit dem Roots 44-Mixtape, und das bei gerade einem gemeinsamen Studioalbum. Seither sind in vergleichsweise kurzem Abstand zwei weitere erschienen. Auf Gschwäll im 2010 folgt 2013 Landgang. Während andere Crews das Mic (zumindest kollektiv) an den Nagel hängen, halten TAZ, Aman und Flink (komplettiert von Neuzugang DJ OK) Anschluss an die Moderne.

Piraten haben ja in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance erlebt, sei es vor der somalischen Küste, auf der Kinoleinwand, oder in der europäischen Politik (während meine private Internetpiraterie definitiv der Vergangenheit angehört). Man könnte nun vermuten, TAFS möchten mit Landgang auf einer Welle reiten, die sie, was weiss ich, an die Spitze der Charts spült. Eine solche Unterstellung würde allerdings ignorieren, dass bei TAFS Kontinuität einen enorm hohen Stellenwert hat. Im konkreten Fall haben sie sich nämlich schon 1999 auf Züüg Für D’Lüt als „drei Pirate“ bezeichnet. Und so gibt es denn auf Landgang nicht wenige Hinweise auf TAFS-typische Eigenheiten. So wird zum Beispiel der Ausdruck ‚Gschwäll‘, der dem letzten Album den Namen gab, noch einmal zum zentralen Begriff, um den sich der Song Alles Vrbi dreht. Das Album-Intro besteht einzig aus dem Ausrufen zahlreicher Basler Orte – fast schon eine Rap-Version des Baselbieterlieds, wenn nicht auch die Stadt Basel erwähnt würde. Dies natürlich eine erneute Bekräftigung des TAFS’schen Lokalpatriotismus, der schon immer Teil von TAFS‘ Identität und Charme war.

Wie TAFS auf ihrer Basellandschaftlichkeit beharren konnten, gehört zweifellos zum Spannendsten in der Schweizer Hip-Hop-Geschichte, aber davon ein andermal. Tatsache ist, man bleibt sich auch 2013 treu, zum Beispiel mit dem Vereinssong, einer Reminiszenz an die Anfänge im Waldenburgertal. Man pflegt auch weiterhin den Baselbieter Dialekt, sogar mit einer gewissen Vehemenz, „bis dr letzt Brieggi unsi Sproch vrstoht“, wie TAZ es ausdrückt. Man könnte es fast schon Starrsinn nennen (der im Alter bekanntlich nicht abnimmt), wenn TAFS sich nicht diese essentielle Hip-Hop-Frische bewahrt hätten. So hat auch Vereinssong nichts nostalgisches an sich, sondern klingt in jeder Beziehung nach hier und jetzt, als ob aufgenommen am letzten Vereinshöck.

Etwas, das auch musikalisch eingelöst wird, namentlich mit der Beigabe von Dubstep in einigen Tracks. In Dizzi kommt sogar AutoTune hinzu, logischer- und ironischerweise in einem Song, der sich ums anders und sich selbst sein dreht. Reggae gehört seit einiger Zeit zum Repetoire und kommt zur Anwendung in Du Gsehsch Es Nid (konzeptuell verwandt mit Amans Ghör Di Nid) und Landgangstyle, das sich, abgesehen vom netten Gangnam Style-Kalauer im Titel, stilistisch vielleicht etwas zu sehr an Seeed orientiert. Ganz und gar stimmig kommt TAFS‘ Freibeuterei in Päirätts und Klarschiff daher, letzteres ein Frühlingsputz-Motivationssong, der sich gewaschen hat, ersteres ein souveränes Spielen mit dem Seeräuber-Sujet. Aman:

„Hän die Kanone glade, hey, ufem Weg zu dim Hafe
spiele mr Schiffvrsenke und lache sogar no denn
wenn mr hänge am Galge
Dini Männer si scho ufem Weg zu dr Planke
Ha? Vo wege vrhandle
Dini Crew het kei Wind in de Segel
macht nume Fehler und bremst wine Anker
Mir hingege händ ä Linie, hiter dere stönde no Päirätts
Ei Holzbei uf de Tanzflechi macht wie –
( *Holzstock schlägt den Takt* )
Ei Glasaug ghei-gheit uf e Bode, macht wie –
( *Glasmurmel kullert über den Boden* )
Anderi Päirätts wette gern tanze
Sie sich immer hert am vrkrampfe
Hei e Final Scratch und e iMac, aber si uf em falsche Dampfer
Und gsehn immer rot wie ne Ample
Wenn öppis nid goht, gheit’s Boot usenander
Mir hei e Hooge, e Shot in dr andere
Hand; vili farbigi Stift und e Karte
Mole die Stadt a wo mr abfackle
Kennsch uns an dr Augeklappe“

Das ganze eröffnet von Böllerschüssen und begleitet von einer mit Akkordeon und Flöte bestückten Korsaren-Kombo, die das Schiffsdeck auch als Perkussionsinstrument zu nutzen weiss. Flink (abgelöst in zwei Fällen von DJ OK) erweist sich einmal mehr als verlässlicher Produzent, der viel dazu beiträgt, dass aus TAFS-Tracks richtige Songs werden. In Dizzi entwickelt sich das Zusammenspiel zwischen wummernden Bässen und sägenden Synths zusammen mit dem Inhalt, Cloudtouch unterstützt den nachdenklicheren Ton der Raps mit melancholischen Melodien und rasselnder Perkussion. Klarschiff sorgt auch tontechnisch für die besungene Frischluftzufuhr mit fein abgestimmten dubbigen Bässen, rhythmischen Claps und neckischen Stabs. Nid Mi Ding simuliert schön die Hochglanz-Szene, der sich TAFS eher weniger zugehörig fühlen:

„Stand hinde an dr Bar und nipp an mim Bier
So viel Plastig mit no meh Plastig kombiniert
Die Welt isch bling-bling, aber mini wird’s nie
I bi eifach nid dr Typ für die Art vo Tamtam
Roll mi rote Teppich lieber vor e Hinterusgang
Stand zu de Jungs an dr Mülltonne, brötle ne Klöpfer
Und gang wieder zrugg in Club
Lo d’Veggi-Häppli links lo ligge und d’Cüpli au
Bstell e Chübel und nimm no ne Schluck
Ha kä Problem drmit, dass die Schinwerfer blende
Zieh mr mini Chappe ins Gsicht und denk mr…“

Das klingt im Gegensatz zum Vorangegangenen doch etwas rückwärtsgewandt, aber auch wenn das anschliessende Outro sich musikalisch an der Vergangenheit orientiert, so machen Aman und TAZ doch unmissverständlich klar, dass sie nicht absichtlich gegen den Strom schwimmen, sondern einfach sich selbst sind. Wie von den beiden Rappern wiederholt versichert, wird sich zwar ein gewisser ‚Ernst‘ auf dem TAF-Kahn nie zum Appell melden, aber trotzdem steckt auch in Landgang eine nicht zu unterschätzende ernsthafte Botschaft, nämlich „di sy“.

Ums kurz zu machen – auf eine durchaus angebrachte Inspectah Deck-Referenz habe ich zwar vergeblich gewartet, das ändert aber selbstverständlich nicht das geringste daran, dass Landgang ein äusserst gelungenes Projekt ist, das dafür sorgt, dass TAFS auch im 16. Jahr ihres Bestehens den Kanton BL in der obersten Spielklasse des Schweizer Raps vertreten.

TAFSKlarschiff