Sagres & Saidesh – L’Amour Et La Guerre

Künstler: Sagres & Saidesh
Titel: L’Amour Et La Guerre
Label/Vertrieb: Quartier Bon Son
Format: MP3/CD
Jahr: 2012

Webseite: quartierbonson.ch

sagressaidesh

Nach R. Hood im 2011 meldeten sich letztes Jahr die restlichen zwei Drittel der Neuenburger Crew Quartier Bon Son als temporäres Duo zu Wort, Rapper Sagres und Produzent Saidesh. L’Amour Et La Guerre – klingt ambitioniert, passt aber vor allem zu Sagres‘ Fokus aufs Grundsätzliche. Der Titeltrack offenbart eine differenzierte Sichtweise, indem er Krieg und Liebe sowohl positiv als auch negativ besetzt:

„Une guerre pour se mesurer, un amour pour grandir
Une guerre pour construire, un amour pour détruire
Une guerre pour avoir la paix, un amour pour une époche
Un amour pour le hip-hop
Un amour pour une mère, un amour pour une femme
Un amour pour son enfant, pour une soeur, pour un frère
Une guerre pour entrer dans la légende
Une guerre pour vivre, pour aider, pour se sauver
Un amour pour une saison
pour la vie, pour ses racines, pour un son
Une guerre pour s’enrichir, pour dominer
Un amour pour faire semblant, pour profiter“

Sagres ist der zurückhaltendere MC als Hood, aber deshalb nicht weniger überzeugt. In verschiedenen Formen denkt er übers Leben nach, mal eher politisch-gesellschaftlich orientiert wie in Tout Doit Changer oder Spectacteur Du Désespoir, mal eher aufs eigene Leben bezogen wie in Faut Qu’On Vive Maintenant oder Les Blessures Se Soignent.

Im Gesamteindruck treten Sagres‘ Beiträge allerdings hinter Saideshs Beats zurück. Der Mann versteht sein Handwerk. Gleichzeitig hat die musikalische Seite von L’Amour Et La Guerre einen ziemlich offensichtlichen Haken. Die Tracks sind detaillierte Studien einer vergangenen Ära. Während Hip-Hop häufig minimalistisch bleibt, webt Saidesh, Anhänger der Pete Rock-Schule, kunstvolle Klangteppiche, die einen direkt in die Mitte der 90er transportieren, und der Rapper assistiert ihm dabei, indem er seinen Flow aufs Nötigste beschränkt. Vergleicht man das mit 1995, deren Name bewusst an die selbe ‚gute alte Zeit‘ erinnern will, so sind Saidesh und Sagres meilenweit von der Innovationskraft der Pariser Crew entfernt. Die Neuenburger bedienen sich buchstäblich im Baukasten für 90er Hip-Hop – Drums, Sounds, Arrangements, alles schon mal dagewesen.

Zugute halten sollte man Quartier Bon Son vielleicht, dass sie zumindest in ihren Worten nicht dem Alten nachhängen (abgesehen von der konservativen Kritik am Internet). „Nostalgie au grenier, faut qu’on vive maintenant“ heisst es in Faut Qu’On Vive Maintenant, und A La Page verpflichtet sich ausdrücklich der Aktualität, wenn auch beeinflusst von „les bonnes recettes des ainés quelques années après l’age d’or“. Als Beweis für QBS‘ Unabhängigkeit von Trends mag Et Je Taffe dienen, das zwar die Arbeitsmoral hochhält, aber sich dennoch nicht Geld und Erfolg unterordnet. Das macht alles Sinn, bis auf L’Amour A Mort, eine unnötig actiongeladene Romanze, einer von vielen gescheiterten Versuchen, Rap drehbuchmässig aufzuziehen. Überlasst das doch bitte Experten wie Kool G Rap und Eminem. Sagres selbst fällt dabei sowieso ziemlich aus der Rolle, denn erwarten würde man angesichts des übrigen Materials viel eher ein realitätsnahes Beziehungsdrama, welches ‚amour‘ und ‚guerre‘ miteinander verbindet.

Auch in diesem Fall glänzt Saidesh mit einer Auswahl an durchdachten musikalischen Teilstücken, die die Geschichte untermalen. Grosses Kino, und das ganz ohne Hollywood-Ambitionen, ist Si Facile, ein wunderschön instrumentierter Rückblick auf den unweigerlichen Verlust jugendlicher Unschuld, und auch der vorangegangene Instrumental, La Huit, ist klassischer Hip-Hop vom allerfeinsten. Was Saidesh auf L’Amour Et La Guerre zum Besten gibt, ist nicht neu hierzulande. Sens Unik, Wrecked Mob und Sendak haben das auch nicht schlecht hingekriegt – und zwar notabene als die Neunziger noch nicht oder erst gerade vorüber waren. Doch gerade die relativ lange Zeit, die zwischen damals und heute liegt, spielt für Sagres & Saidesh, schliesslich ist es nicht ganz leicht, sich im Lärm der heutigen Zeit in eine andere zu vertiefen.

Letztlich gibt die etwas unklare Herkunftsangabe Quartier Bon Son présente/Sagres/Saidesh jedoch recht gut wieder, dass es sich weder um ein reines Solo- noch um ein Bandprojekt handelt, sondern irgendwas dazwischen, wobei auch Sängerin Armelle nicht unerwähnt bleiben darf. Alles in allem eine gekonnt durchkomponierte Scheibe, bis zum finalen Tout Ca Pour Dire, das die gehörten Stücke nochmal kurz Revue passieren lässt und L’Amour Et La Guerre vorzüglich abrundet.

10iP – Je Garde La Tête Haute

Künstler: 10iP
Titel: Je Garde La Tête Haute
Label/Vertrieb: Michigang
Format: MP3/CD
Jahr: 2012

Webseite: michigang.ch

Die Michigang ist wider Erwarten nicht in Michigan anzutreffen, sondern an der Nordseite des Neuenburgersees in der Gemeinde Cortaillod. Entstanden ist das ganze um die Crew Division Explicite, mit der 10iP anfänglich zusammenarbeitete, namentlich mit Nano, mit dem er das (Spass-)Duo 1Equipe2Connards bildete. Die Gang trat erstmals offiziell mit dem Farawan-Album Seul Avec La Plume in Erscheinung und besteht heute aus 10iP, Masta Vilo, Kepas, Idal, FlexFab, Hook und DJ Wark. Je Garde La Tête Haute ist ihre erste erwerbbare Veröffentlichung und gleichzeitig auch 10iPs Solodebüt als Rapper.

10iP klingt irgendwie nach dissipé – zerfahren, zerstreut, leichtsinnig auch (sagt jedenfalls der dictionnaire). Je Garde La Tête Haute straft den Namen Lügen. Gleich zu Beginn gibt 10iP bekannt, dass er seine Träume bis ans Ziel verfolgt (Jusqu’au Bout): „Si le succès n’éclate la porte (…) j’rapperais plus fort, j’rapperais hardcore“. Allerdings scheint es da doch Widerstände zu geben, die der Mann zu überwinden hat, bezeichnet er sich doch als „prisonnier du passé“ und spricht von „toutes ces années gachées, toutes ces années ratées“. Der Titeltrack setzt diesbezüglich noch einen drauf mit Zeilen wie „Je m’endors avec le cafard, je me relève avec la migraine / Ma galère a pris l’eau, j’ai noyé son capitaine“ oder „Mon tableau familial: un père pas là, une mère malade / j’ai grandit parmi les hurlements, si loin des belles ballades“. Im Refrain wird jedoch Hoffnung geschöpft, passend zu Hooks Trap Rap-Beat mit brummendem Basslauf und Synthflimmern.

Hook sorgt dafür, dass auch der Rest des Albums modern klingt. In Catharsis verpasst er den Stimmen von 10iP und Masta Vilo leichte AutoTune(?)-Akzente und zimmert aus wenigen Mitteln einen hymnischen Track, der 10iP lyrische Lichtblicke ermöglicht: „J’suis pas Lady Di, t’inquiète, j’verrai le bout du tunnel“. Die musikalischen Emotionen gehen noch mal ein bisschen höher im rocklastigen Michigang-Posse Cut On A La Recette, in welchem abermals Vilo mit seinem karibisch gefärbten Gesang für Stimmung sorgt. Romandie Tour besinnt sich eher auf die Ära der hochgepitchten Samples und ist mit klangvollen Stabs und geballten Drums ein würdiger Unterbau für einen Track, der Hip-Hop in der Westschweiz hochleben lässt. Romandie Tour verlangt geradezu nach einem Remix, was mit dem vorletzten Track auch Tatsache wird, wenn über ein Dutzend MC’s und drei DJ’s (Green Giant, No Games, Menas) zur Tour de Romandie antreten.

Hooks Produktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Eigenleben entwickeln und das alte Schema Sampleloop/ Rhythmustrack weit hinter sich lassen. Bestes Beispiel ist Jardin D’Eden, ein exzellent orchestrierter Beziehungssong, in welchem 10iP und der Beat gemeinsam Höhen und Tiefen durchlaufen. Auch die Gastproduktionen können sich hören lassen, etwa das crunke Normal T’As Vu? (Remix) von Jiz (ursprünglich ein Titel von RDB Style aus dem Jura), oder Jay Stones Synthflächen für Et J’Me Lève…, wo 10iP zwischen Singen und Rappen abwechselt und Swag auf der stilistischen mit Poesie auf der inhaltlichen Seite verbindet: „J’ouvre les yeux, le jour se lève / On s’brûle les ailes, frère, quand on touche le ciel / Je trouve mon inspiration là où les bouches se ferment / Merci d’être là, même si les doutes me frènent“. Im Verlauf von Je Garde La Tête Haute kristallisiert sich jedoch 10iPs eigentliche Stärke heraus. Er bewegt sich sehr nahe an der Musik und kann einen Flow mit Melodie entwickeln. Das gelingt nicht vielen Rappern, auch nicht immer jenen, die eigentlich dafür berühmt sind (Drake, Kid Cudi).

„Le rap suisse, une grande historie“, resümiert 10iP in Romandie Tour. Inwiefern der 26jährige und seine Michigang in diese Geschichte eingehen werden, ist ungewiss. Klar ist, dass Je Garde La Tête Haute ein durch und durch gelungenes Debüt ist.

10iPJardin D’Eden:

R. Hood – Planet Hood Vol. 1

Künstler: R. Hood
Titel: Planet Hood Vol. 1 – Parcelle De Lumière
Label/Vertrieb: Quartier Bon Son/Fontastix
Format: MP3/CD
Jahr: 2011

Webseite: quartierbonson.ch

Planet Hood? ‚Die Welt ist eine Hood‘ und so? Nicht ganz. R. Hood, mit vollem Künstlernamen Robin Hood, ist einer von drei MC’s beim Neuenburger Quartier Bon Son. Planet Hood Vol. 1 – Parcelle De Lumière ist sein erstes Solo und wird demnächst ergänzt durch L’Amour Et La Guerre seines Kollegen Sagres. Stimmlich ist R. Hood ein souveräner MC, fast ein bisschen an den allseits geschätzten Dany Dan von den Sages Poètes De La Rue erinnernd.

Hood ist ein Rapper, der sich nicht versteckt, das würde man auch ohne den Opener Parole A Coeur Ouvert raushören. Zu erwarten sind allerdings weniger persönliche Bekenntnisse als generelle Betrachtungen über den Ausschnitt der Welt, über den sich der in Kinshasa geborene Neuenburger Überblick verschafft hat. Zu seinem Universum gehört zur Zeit auch die Université de Neuchâtel, wie auf dem CD-Cover angedeutet wird. In deren Bibliothek wurde das Video zu Notre Point D’Honneur gedreht, in welchem sich Hood und Gast Stigma, beide auch auf die arabischen Revolutionen verweisend, Gedanken zum Weltgeschehen machen und ihrer eigenen Werte erinnern.

Hoods humanistische Grundhaltung kommt ebenfalls in Children zum Ausdruck, dem anderen Video-Track, als schöner Kontrast zu Notre Point D’Honneur gedreht im Senegal, wo Quartier Bon Son im April am Festival Rapandar auftraten. Der Reggae-Vibe (NERD ALERT: unterstützt von einem vor Urzeiten von U Know Who verwendeten Sample – kurioserweise für den Track Robbin‘ Hood) passt gut zum Plädoyer für die schwächsten Mitglieder der globalen Gesellschaft.

R. Hood denkt gerne in grossen Zusammenhängen, davon zeugen P.L.H., Parcelle De Lumière, Vision Alpha und Reste A L’Ecoute. Letztere zwei verweisen auf 2012 als Schicksalsjahr, esoterische Anleihen, die der Rapper eigentlich nicht nötig hätte. Diese Tracks unterscheiden sich vor allem musikalisch. Auf dem elektronisch angehauchten Reste A L’Ecoute und dem Power-Pop-inspirierten Vision Alpha erleben wir, wie Hood seine Performance den Gegebenheiten anpassen kann. P.L.H. verwendet einen vertrauten Funk-Basslauf, dem Hoods engagierter Flow, aufgelockert durch gesungene Passagen, problemlos folgt, während Parcelle De Lumière reich instrumentiert ist, von der einleitenden Orgel über gescratchte Vocals bis zum abschliessenden Sololauf einer Stromgitarre.

Das an und für sich interessante, musikalisch risikofreudigere H2O Style leidet unter dem altbekannten Phänomen, dass Rapper einfach nicht die Klappe halten können und jede Sekunde eines Stücks mit einer x-fach wiederholten Hook zulabern müssen. Besser macht er’s auf dem R&B-Joint Rien De Tel, wo er Sängerin Armelle genügend Raum lässt und wie erwartet seinen Flow wieder eine Nuance geschmeidiger bringt. Der einzig verbürgte Production Credit ist übrigens DJ Liquid C (Notre Point D’Honneur), welcher aus umrahmenden Harfenklängen, einem kleinen Orgelspiel und dicken Drums einen klassisch frankophonen Hip-Hop-Track baut. Abgeschlossen wird das ganze vom 90er Throwback Lâche Du Lest mit Sagres.

Es kommt im Rap des öfteren vor, dass konzeptionelle Titel, Serienanfänge („Vol. 1“) und ähnlich grosse Ankündigungen nicht unbedingt eingelöst werden. Planet Hood Vol. 1 – Parcelle De Lumière kommt da vergleichsweise stimmig rüber als zukunftsgerichtetes, optimistisches Album von einem Rapper, der noch nicht alles gesagt hat. Fehlende Experimentierfreudigkeit wird wettgemacht durch eine breite musikalische Palette und eine solide Umsetzung.

Interview auf Radio Fréquence Jura

R. Hood f. Masta ViloChildren

R. Hood f. StigmaNotre Point D’Honneur